Geometrisch und materiell nichtlineare Analyse mit Imperfektionen (GMNIA) von biegebeanspruchten Trägern

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Vergleich der GMNIA-Ergebnisse in IDEA Member mit einer analytischen und einer numerischen Lösung

1. Die Zielsetzung

Ziel dieses Artikels ist die Überprüfung der GMNIA-Analyse (Geometrisch und materiell nichtlineare Analyse mit Imperfektionen) der IDEA Member Anwendung. Die aus IDEA Member resultierenden Widerstände werden mit der analytischen Lösung der EN 1993-1-1 [1] für biegebeanspruchten Träger verglichen.

2. Modellbeschreibung

Insgesamt wurden 18 Einzelfälle analysiert, um das GMNIA-Modul zu verifizieren. Alle haben den gleichen Querschnitt IPE 240 und die gleiche Stahlsorte S 235. Es wurden drei verschiedene Lastfälle untersucht (A - Endmomente, B - Kraft in der Mitte, C - Linienlast). Es wurden sechs relative Schlankheitsgrade zwischen 0,6 und 1,6 geprüft.

Verschiedene Lastfälle für die Überprüfung: A - Endmoment, B - Kraft in der Mitte, C - Dauerlast

Abb. 1: Verschiedene Lastfälle für die Überprüfung

3. Vorverformungen

Es wurden vier Ansätze zur Berechnung der Vorverformungen eines Trägers bei Biegung verwendet. Diese werden mit A, B, C und D bezeichnet. Die Ansätze A, B und C verwenden die Vorverformung für das Knicken um die schwache Achse, multipliziert mit einem Faktor von k = 0,5, wie in EN 1993-1-1 Abschnitt 5.3.4 (3) [1] angegeben. Die Vorverformung nach Ansatz D wird direkt für das Biegedrillknicken ermittelt.

Ansatz A - gemäß EN 1993-1-1:2005, Tabelle 5.1:

Tab. 1: Bemessungswert der Vorkrümmung e0/L für Bauteile

Bemessungswert der anfänglichen Vorkrümmung e0/L für Bauteile

Ansatz B - gemäß prEN 1993-1-1:2020, zweiter Entwurf [2], Abschnitt 5.3.3.1:

\[ \frac{e_0}{L}=\frac{α}{ε} \beta \]

mit:

  • e0 – Vorkrümmung
  • α – Imperfektionsbeiwert in Abhängigkeit von der jeweiligen Knicklinie nach 1993-1-1, Tabelle 6.1 [1]
  • \( \varepsilon = \sqrt{\frac{235}{f_y}} \)
  • fy – Streckgrenze [MPa]
  • β – Referenz der relativen Vorkrümmung gemäß Tabelle 2
  • L – Länge des Bauteils

Tab. 2: Referenz der relativen Vorkrümmung

Referenz der relativen Vorkrümmung

Ansatz C - EUGLI-Methode (Equivalent Unique Global and Local Initial Imperfection) gemäß EN 1993-1-1:2005, Abschnitt 5.3.2 (11) [1]:

\[ e_0=\alpha (\bar \lambda - 0.2) \frac{M_{Rk}}{N_{Rk}} \]

mit:

  • e0 – Vorkrümmung
  • α – Imperfektionsbeiwert in Abhängigkeit von der jeweiligen Knicklinie nach 1993-1-1, Tabelle 6.1 [1]
  • \( \bar \lambda \)  – Schlankheitsgrad
  • NRk – charakteristischer Wert der Normaltragfähigkeit eines Querschnitts
  • MRk – charakteristischer Wert der Momententragfähigkeit eines Querschnitts

Ansatz D - gemäß [3]:

\[ e_0=\alpha_{LT} (\bar \lambda_{LT} - 0.2) \frac{M_{Rk}}{N_{Rk}} \]

mit:

  • e0 – Vorkrümmung
  • αLT – Imperfektionsbeiwert aus Tabelle 3
  • \( \bar \lambda_{LT} \) – Schlankheitsgrad für Biegedrillknicken
  • NRk – charakteristischer Wert der Normaltragfähigkeit eines Querschnitts
  • MRk – charakteristischer Wert der Momententragfähigkeit eines Querschnitts

Tab. 3: Imperfektionsbeiwerte zur Berechnung von e0

Imperfektionsfaktoren zur Berechnung von e0

Die sich daraus ergebenden Vorkrümmungen sind in der nachstehenden Tabelle zusammengefasst. Zu beachten ist, dass für diesen Querschnitt und diese Stahlsorte die Ansätze A und B die gleichen Werte ergeben.

Tab. 4: Resultierende Werte für die Vorkrümmung

Resultierende Werte für die Anfangsimperfektion

4. Analytische Lösung

Für die Berechnung der Biegedrillknickbeanspruchbarkeit des Trägers wird der folgende Ansatz nach EN 1993-1-1, Abschnitte 6.3.2.1 und 6.3.2.2 [1] verwendet:

\[ \bar \lambda_{LT} = \sqrt{\frac{W_{pl,y} f_y}{M_{cr}}} \]

\[ \phi_{LT} = 0.5 \left [1 + \alpha_{LT} \left (\bar \lambda_{LT} - 0.2 \right ) + \bar \lambda_{LT} ^2 \right] \]

\[ \chi_{LT} = \frac{1}{\phi_{LT} + \sqrt{\phi_{LT}^2 - \bar \lambda_{LT} ^2}} \]

\[ M_{b,Rd} = \frac{\chi_{LT} W_{pl,y} f_y}{\gamma_{M1}} \]

5. Die Ergebnisse

Die Grenzwiderstände (für Vorverformungen A = B, C und D) von IDEA Member werden mit den analytischen Werten für einen gewalzten Querschnitt (EN) und auch für seine Darstellung ohne die Steg-Flansch-Radien (Ew) verglichen. Schließlich werden die Ergebnisse der ANSYS-Software (A) [4] unter Verwendung der Vorverformungen nach Ansatz C vorgestellt.

Tab. 5: Resultierende Werte für die Momententragfähigkeit

Resultierende Werte für die Biegetragfähigkeit
Darstellung der resultierenden Werte für die Biegetragfähigkeit

Grafik 1: Resultierende Werte für die Momententragfähigkeit

Vergleich der resultierenden Biegetragfähigkeit

Grafik 2: Vergleich der resultierenden Momententragfähigkeit

Die Ergebnisse von GMNIA sind im Vergleich zur Eurocode-Lösung konservativ. Dies ist zum Teil auf die Querschnittsmodellierung in IDEA Member zurückzuführen. Dieser Einfluss liegt zwischen 5-10 %, wie aus den blauen Säulenwerten in der obigen Tabelle ersichtlich ist.

Vergleicht man die beiden orangefarbenen Säulen (Member und ANSYS), so zeigt sich eine gute Übereinstimmung mit einer numerischen Lösung in ANSYS.

Die Wahl der Vorverformung spielt eine wichtige Rolle für den resultierenden Widerstand. Bei Verwendung der Vorverformungen A oder B sind die resultierenden Momententragfähigkeiten im Vergleich zum Eurocode 10-30 % niedriger. Die Methoden C und D sind nur geringfügig konservativ (< 10 %) im Vergleich zur analytischen Lösung des Eurocodes für einen realen Walzquerschnitt. Sie liegen jedoch sehr nahe an dem erwarteten Wert, der analytisch für einen Querschnitt ohne die Steg-Flansch-Radien berechnet wurde.

Verformte Struktur bei Grenzwiderstand und plastischer Dehnung des Modells B_4

Abb. 2: Verformte Struktur bei Grenzwiderstand und plastischer Dehnung des Modells B_4

6. Literatur und Quellenangaben

[1] EN 1993-1-1: Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten - Teil 1-1: Allgemeine Regeln und Regeln für Gebäude, CEN, 2005.

[2] prEN 1993-1-1: Eurocode 3: Bemessung und Konstruktion von Stahlbauten - Teil 1-1: Allgemeine Regeln und Regeln für Gebäude, zweiter Entwurf, CEN, 2017.

[3] Snijder, H. H., van der Aa, R. P., Hofmeyer, H., & van Hove, B. W. E. M. (2018). Lateral torsional buckling design imperfections for use in non-linear FEA. Steel Construction: Design and Research, 11(1), 49-56.

[4] Aa, R.P. van der: Numerical assessment of the design imperfections for steel beam lateral torsional buckling, Master thesis, report 2015.96, Eindhoven University of Technology, Eindhoven, Dept. of the Built Environment, Structural Design, The Netherlands, 2015.